Es soll Fernsehen sein – eine richtige Show mit vielfältigen Elementen, unterhaltsam, trotzdem mit viel Inhalt, ein Dutzend Gäste, mehrere Kameraperspektiven. Es darf nichts kosten, wird aber weltweit ausgestrahlt und mit Produktionsmitteln hergestellt, die wir bereits im Büro besitzen und die mit wenig Personal bedient werden. Big Show – low budget.
Und, wir wollen unbedingt auch raus aus dem Studio – live mit Außenreportagen und per Einspielfilm, um einen Zeitsprung zu realisieren. Und dann soll die Show nicht nur live gesendet und anschließend aufgezeichnet sofort verfügbar sein. Sie muß darüber hinaus auch noch interaktiv sein, kurz: es sollte ein neues Format werden, das im Netz #SocialTV heißt.
(Video: Erster Teil des Social TV im Bochumer Ruhrcongreß)
Das Studio bauten wir im Foyer vom Bochumer Ruhrcongress auf, beim 40. Jubiläum der GLS Bank. Das Programm der Feier versprach viele interessante Gesprächspartner, die wir auch in die Sendung holen wollten. Horst Köhler, Bundespräsident a.D. wollte erstmals nach seiner Amtszeit öffentlich über Banken-Verantwortung sprechen, Starköchin Sarah Wiener darüber, was gutes Essen mit Geld und Nachhaltigkeit zu tun hat und die Energierebellen aus dem Schwarzwald wie sie in Schönau den übermächtigen Energieriesen vertrieben und dann ihre eigenen Stadtwerke aufgebaut haben. Und dann noch Unterhaltung: eine Aufführung von Bochum, dem Singspiel um Herbert Grönemeyers Lebenswerk.
Es gab schon einen Livestream des Veranstalters, der alle Reden aus der Halle ins Web übertrug. Wir wollten in den beiden Pausen dann unser SocialTV per Google Hangout senden. Zwei Mal 40 Minuten war dafür Zeit. Jeweils ein Dutzend Positionen standen auf dem Sendelaufplan. Das Team war minimal: ein Redakteur, der auch als Produktionsleiter und Regisseur fungierte und zusätzlich der Kameramann für die Außenreportagen war. Dazu ein Hangout-erfahrener Moderator, der zusätzlich die Kamerapositionen am Regiepult schalten musste und einen Blick auf die Zuschauerreaktionen hatte. Außerdem ein Praktikant, der die Gäste in die Sendung lotste und als Regieassistent einen Blick auf den Ablaufplan hielt. Für die Außenreportage stand eine gänzlich TV-unerfahrene Reporterin vor einer echten Herausforderung. Nicht viel Personal für zwei Live-Sendungen mit je einem Dutzend Sendeelementen und einem Dutzend Studiogästen.
Das Setup: Zwei HD-Webcams mit Laptops lieferten unterschiedliche Bildpositionen, zwei Lampen, ein Handmikrofon und dazu kam ein Smartphone auf Stativ mit Richtmikro für die Außenreportagen. Ein Stehtisch und 3 Barhocker.
Von der ersten Minute an war es hektisch. Gesendet werden sollte in den Pausen der Veranstaltung. Doch die war 20 Minuten hinter dem Zeitplan. Unser “Stargast” Sarah Wiener stand dafür um so pünktlicher im improvisierten Studio und drohte wieder zu verschwinden. Also starteten wir die Übertragung, obwohl weit und breit keiner der übrigen Gesprächspartner zu sehen war. Reporterin und Kameramann rückten ab zur Außenposition, der Platz des Regisseurs war daher verweist. Für die Außenübertragung aus einem entfernten Saal musste das Smartphone zuerst in ein neues WLAN-Netz eingebucht und dann in dem Hangout wieder angemeldet werden. Weil der Platz für die Bildregie verweist war, hätte in diesem Moment der Moderator den Ton wegschalten müssen – während er mitten im Gespräch war. Überfordernd. Dadurch störten die Nebengeräusche der Außenreportage den Sendeton für ein bis zwei Minuten.
Und auch die Bildregie konnte der Moderator nicht wie geplant übernehmen, während er durch die vielen Laufplanpositionen mit durchaus anspruchsvollen Interviews führte.So kam es während eines Interviews in Teil 2, dass die Kameraposition Hangout-typisch automatisiert ständig hin- und hersprang: durch den Ton gesteuert. Im Sendebild war leider zumeist nicht die Totale, sondern die Moderatorenkamera zu sehen. Der Interviewgast war dann nur angeschnitten im Bild.
Aber trotzdem: Es entstand eine abwechslungsreiche Sendung mit einigen sehenswerten Interviewpassagen. Zum Ende, beim zweiten Highlight der SocialTV-Show, nervte dann noch ein irrtümlich freigeschaltetes Mikrofon die Zuhörer und sorgte für einen ungeplanten Echo-Effekt bei dem Musik-Gig des Schauspielhauses Bochum. Dabei wird auch ein Problem von Hangout sichtbar: Durch die geringe Bildwiederholrate der Google-Übertragung wirken schnelle Handbewegungen an der Gitarre abgehakt und unnatürlich.
Bei PR-Agenturen, die sich die Sendungen angeguckt haben, war die Reaktion wenig euphorisch: Schlechte Bildqualität, zu wenig Abwechslung, hätte man auch aufzeichnen können, statt zu streamen, so die Reaktionen.*
Doch von der Crowd gab es keine Kritik. Das Unperfekte gehört bei SocialTV dazu. Im Gegenteil: Viel wohlwollendes kam über die verschiedenen Social Media Kanäle zurück. Hangout ist erwachsen geworden, schrieb einer über die Frage und Antwortfunktion von Hangout. Auch im Nachhinein gab es bei einer Vorstellung der Produktion unter Kommunkationsprofis auf einem Pannel beim Süddeutschen Journalistentag große Anerkennung. Andere meldeten sich, nachdem sie die Aufzeichnung auf YouTube angesehen hatten:
Tolle Umsetzung von SocialTV, Mut zur Spontanität & effizienter Einsatz “kleiner Technik” – Inhalte & Atmo stehen im Mittelpunkt. Spannend!(Martin v. Berswordt-Wallrabe, Kommunikationsmanager, Düsseldorf)