Auch wenn es viele Radfahrerinnen und Radfahrer nicht glauben. Innerhalb der geschlossenen Ortschaft fahren sie auf der Fahrbahn sicherer als auf einem Radweg am Randstreifen, der neben dem Fußweg entlang führt. In den letzten Jahren hat dies die Unfallforschung in Untersuchungen nachgewiesen. Die Stadt Herford in Westfalen ist nun eine der ersten Kommunen, die die Umstellung abgeschlossen haben. Der Verkehrsausschuss des Rates hatte beschlossen, die Benutzungspflicht für Radwege innerhalb der geschlossenen Ortschaft in der Regel aufzuheben. Andere Kommunen setzen die neuen Vorgaben für Radwege nur zögerlich um.
NRW schraubt Radwege-Schilder ab
Die Bundesstraße 51 ist eine der Hauptachsen in Bochum. Der Verkehr von 2 Autobahnen läuft über die eng bebaute Straße in die Innenstadt. An den Seiten wurde Platz geschaffen für zwei Radwege auf der Fahrbahn. Solche gut sichtbaren Radwege werden von Jürgen Eichel vom Verkehrsclub Deutschland als vorbildlich gelobt.
Jetzt ist das in unserem Sinne gut gelöst, gut markiert und gut sichtbar.
In Bochum hat man inzwischen die meisten Radwege auf den Bürgersteigen entweder auf die Straße verlegt oder gänzlich abgeschafft. Auch in Herford hat der Verkehrsausschuss angeordnet, die Benutzungspflicht aufzuheben für Radwege , die auf den Bürgersteigen laufen. Nur noch zwei Ausnahmen gibt es, erklärt Ordnungsamtsleiter Jürgen Sobek mit einem gewissen Stolz.
Wir haben nach dem Beschluss die Schilder abmontiert. Die Nutzer müssen aber nicht auf die Straße. Sie haben die Möglichkeit beides zu nutzen, sowohl Radweg, als auch die Straße. Das wird ein Gewöhnungsprozess sein.
Zunächst hatten die Radfahrer Sorgen, sie wären dadurch einer größeren Unfallgefahr auf der Straße ausgesetzt. Doch das Gegenteil ist der Fall. In den 4 Jahren, die der Umbau des Radwegenetzes benötigte, sanken die Unfallzahlen kontinuierlich.
Allerdings zeigen unsere Unfallstatistiken, dass es sich sehr positiv ausgewirkt hat. Wir hatten im Jahr 2008 115 Unfälle mit 101 verletzten Radfahrern im Stadtgebiet. Im Jahr 2013 als Vergleichsjahr hatten wir nur noch 50% der Unfälle, 64 mit 59 Verletzten. Eine sehr gute Entwicklung.
Urteil aus 2010 ist Auslöser
Die Erkenntnis, dass Radwege unsicher sind, ist erstmals 1997 in die StVO eingegangen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die generelle Radwegebenutzungspflicht mit einem Urteil Ende 2010 dann quasi abgeschafft. (Meldung vom ADFC) Seitdem sind die Kommunen verpflichtet, für jeden Radweg eine Notwendigkeit nachzuweisen. In Dinslaken will man nun auch handeln. Eine pure Notwendigkeit, sagt Verkehrsplaner Roland Welger:
Wir haben hohe Zuwachsraten im Radverkehr, auch durch den Tourismus. Die Verkehrsmengen sind so groß, dass wir hohe Unfallzahlen haben. Ziel ist, dass wir den Radverkehr wieder zurück bringen wollen, von den Randbereichen auf die Straße.
Doch durch das Aufheben der Benutzungspflicht entstehen neue Konflikte. Die bisherigen Radwege dürfen zwar weiter befahren werden, sind aber nicht mehr ausgeschildert. Sowohl für Radfahrer als auch Fußgänger ist die Situation oft unklar. Und Autofahrer sind häufig uneinsichtig, warum sie sich nun mit dem Radfahrer eine Fahrbahn teilen sollen. In Dinslaken sollen die Fahrräder an den großen Kreuzungen daher eigene Abbiegespuren erhalten.
Das ist das Instrument des Schutzstreifens für Radfahrer, wo er seinen eigenen Raum auf der Straße wieder zurück bekommt.
“Radelhauptstadt München”
München bezeichnet sich selbst als “Radelhauptstadt”. Dort werden bereits fast 20% aller innerstädtischen Fahrten mit dem Fahrrad unternommen. Dabei ist es kein Widerspruch, die Radwegeschilder abzumontieren, sagt der Leiter der Abteilung Straßenverkehr: Norbert Bieling.
Die größte Zahl der Unfälle mit Radfahrern entsteht an Knotenpunkten. Dabei ist es von Vorteil, wenn sich die Verkehrsteilnehmer untereinander sehen. Und wenn Radfahrer auf der Straße oder auf Radfahrstreifen fahren, können sich die Verkehrsteilnehmer auch untereinander sehen, als wenn sie untereinander versetzt fahren und in den Hintergrund geraten.
München hat nach seiner Aussage schon 2009, vor dem Urteil mit der Überprüfung begonnen. Trotzdem ist man dort noch lange nicht fertig, denn die Stadt hat sich für eine Überprüfung jedes einzelnen Radwegs entschieden, so Bieling:
Wir haben eine Prüfung für etwa 400 Straßen eingeleitet und haben bisher etwa 25% aller Straßen freigegeben
Verbände begrüßen Neuregelung
Die Radfahrverbände und der Verkehrsclub VCD begrüßen die Neuregelungen. Jürgen Eichel weist auf die großen Geschwindigkeitsunterschiede auf Rad und Fußwegen hin: durch die neuen, mit Elektromotor angetriebenen Pedelec-Fahrräder.
Mit dem Aufkommen der Pedelecs verschärft sich der Druck auf Kommunen, dass man da jetzt handelt.
Trotzdem rechnen Experten damit, es werde noch viele Jahre dauern, bis die blauen Schilder kombinierter Rad- und Fußweg verschwunden sind. Schon nach dem Urteil 2010 sagte der ADFC:
…nun sind alle Verwaltungen gefordert, sich an geltendes Recht zu halten.
Fotos: (4x Kai Rüsberg und 3x Roland Welger)
Ergänzung 22.8.14: Urteil zu Radwegesanierungspflichten: Kommunen sind nicht verpflichtet, alle Schlaglöcher auf Radwegen zu beheben; auch wenn sie Gehandicapte gefährden.
Aus der in § 9 Abs. 2 Satz 2 Straßen- und Wegegesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (StrWG NRW) geregelten Verpflichtung des Straßenbaulastträgers, die Belange von Menschen mit Behinderung und anderer Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigung mit dem Ziel zu berücksichtigen, möglichst weitgehende Barrierefreiheit zu erreichen, folgt nicht, dass jede Straße, unabhängig von ihrer jeweiligen Bedeutung auch für behinderte Personen sicher zu befahren sein muss. Das hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.07.2014 unter Abänderung eines Urteils des Landgerichts Paderborn entschieden…
(11 U 107/13)
Wie hat sich in Herford denn der Anteil der Radfahrer in den letzten vier Jahren entwickelt – oder noch besser, die Menge der auf dem Rad gefahrenen Kilometer?
Ohne weiteren Kontext ist es leicht mit gesunkenen Unfallzahlen zu argumentieren.
Und selbst wenn der Anteil am Radverkehr gleich geblieben wäre, bleibt noch immer die zentrale Frage zu klären: Wer hat sich bei welchen Unfällen wie schwer verletzt?
In die Unfallstatistik fließen alle Unfälle ein, also auch die meist nicht ganz so schweren Unfälle zwischen Radfahrenden und Fußgängern bzw. anderen Radfahrern. Diese Unfälle gehen naturgemäß zurück, wenn der Radverkehr auf die Straße verlegt wird.
Außerdem spielen natürlich auch die begleitenden Maßnahmen der Kommune eine Rolle, die dazu beitragen, dass Radfahrer besser wahrgenommen werden. Offensichtilich hat in Herford diesbezüglich ein Bewusstseinswandel stattgefunden. Es ist also nicht davon auszugehen, dass alleine durch die Aufhebung der Benutzungspflicht der Radverkehr sicherer wurde.
Da stimmt sicher. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass (außer vielleicht Google im Geheimen) jemand die gefahrenen Radkilometer mitgezählt hat, so dass es sich wirklich in Bezug setzen ließe. Ich finde aber trotzdem die Aussage relevant, dass in der Zeit des Rückbaus der Radwege sich die Unfallzahlen reduziert haben.
Antwort der Stadt Herford:
Im Jahr 2011 fand eine Mobilitätsbefragung in 3000 ausgewählten Haushalten in Herford statt. Insgesamt beteiligten sich 1041 Personen mit 3280 Wegedaten. Die Auswertung ergab, daß nach wie vor das dominante Vekehrsmittel in Herford das Auto ist mit 66%. Es folgen Fußgänger mit 17%, mit ÖPNV fahren 5% und das Fahrrad hat einen Anteil von 12% am gesamten Verkehrsaufkommen. 1991 war der Radanteil bei einer vergleichbaren Befragung bei 8%. Somit verzeichnet das Fahrrad den größten Zuwachs.
Mit freundlichen Grüßen
Juliane Tack
Abteilung Stadtplanung, Grünflächen und Geodaten