So langsam wachen Politik und Wirtschaft auf. Einsicht setzt ein: Wenn der Journalismus nicht überlebensfähig ist, droht die Glaubwürdigkeit von politischem und wirtschaftlichem Handeln im Staat Schaden zu nehmen. Denn die etablierten Medien waren die vergangenen 100 Jahre die Quelle für alle, die wissen wollten was richtig ist und was falsch läuft in der Gesellschaft.
Jetzt hat der Arbeitskreis Compliance der deutschen Wirtschaft einen Kodex gegen die verdeckte Manipulation von Journalisten verabschiedet. Und der Landtag NRW will gleich mit zwei Maßnahmen den Journalismus retten: Die unechte Partizipations-Stiftung macht ihre ersten Schritte und der Medienausschuss plant eine Bundesinitiative für die Gemeinnützigkeit.
Gut so? Für mich eher ein Zeichen, dass im Journalismus etwas schief läuft. Denn: es sind nicht die Journalisten, die die Zukunft gestalten und sich selbst mit frischen Ideen retten. Nein – sie überlassen dies ausgerechnet denen, die sie kontrollieren sollten.
Rettet Euch vor den Rettern. Nehmt die Zukunft selbst in die Hand.
Man könnte mit Schumpeter argumentieren: Mit dem Prozess der Neuordnung nach einer schöpferischen Zerstörung. Mal als Theken-Ökonom gesprochen: Jede ökonomische Entwicklung baut auf einem Prozess der kreativen Zerstörung auf. Durch eine Neukombination von Produktionsfaktoren, die sich erfolgreich durchsetzt, werden alte Strukturen verdrängt und schließlich zerstört. Die Zerstörung ist also notwendig − und nicht etwa ein Systemfehler.
System-kritischer Journalismus verankert im Staatssystem
Mit dem Unterschied, dass die Medienwelt keine Konsum-Industrie ist. Unser Staatssystem baut auf einem system-kritischen Journalismus auf. Dieser ist tief verankert im System: Im Grundgesetz, im Pressekodex, in der Unternehmensethik. Journalismus ist im wahren Sinne System-relevant. Auch wenn das nicht so deutlich benannt wird, jeder weiß dies. Aber es wird noch negiert, weil er ja noch immer funktioniert.
Für eine schleichende schöpferische Zerstörung ist das System soziale Marktwirtschaft im Bereich der Medien nicht gewappnet. Sie zerstört vielmehr nachhaltig: Der schleichende Relevanz- und Vertrauensverlust ist in den Folgen nicht absehbar. Völlig unklar ist, ob die frühere Relevanz und das Vertrauen der Medienkonsumenten je wieder aufgebaut werden könnte. Unklar, ob es Akteure geben wird, die dies vorantreiben. Noch unsicherer ist, ob dann die Verknüpfung wieder herstellbar ist: Die Verknüpfung von vertrauenswürdiger, objektiver, wahrhaftiger Berichterstattung mit der Bezahlung durch die Nutzer der Medien.
Sicher ist nur, dass die Degradation zwar in heftigem Gange ist, aber trotzdem noch Jahre anhalten wird. In dieser Zeit wachsen Generationen nach, die den Impetus vom gegebenen Wert der objektiven Information nicht verinnerlichen konnten. In dieser Zeit werden Medien existieren, deren Inhalte so geschickt hergestellt sind, dass sich die gezielte Einflussnahme von weltanschaulichen, ökonomischen oder politischen Akteuren kaum erkennen lässt. In dieser Zeit werden Marken wie Publikationen, Sender oder Verlage ihren Markenkern <Unabhängigkeit> verlieren und deren Nachfolger schneller wechseln, als dass die Medienkonsumenten ein Grundvertrauen aufbauen können.
Verleger sichern Gewinne, solange es geht
Doch den Akteuren in den Verlagshäusern und Sendern ist das zunächst egal. Sie machen ihren Job und versuchen den Untergang zu verwalten. Die Verleger haben sich mit dem schrumpfenden System abgefunden und sichern durch Kosteneinsparungen ihre Gewinne, solange es geht. Ein paar wenige versuchen sich sogar ehrlich an echten Alternativen. Aber das darf nicht täuschen – dies verlangsamt nur die Degradation.
Die zaghaften Eingriffe der Politik, einen Umbau des Journalismus zu unterstützen, sind zögerlich, daher ungewiss in der Wirksamkeit und ganz sicher nicht ausreichend. Die (unechte) NRW-Stiftung Partizipation steht von Anfang an unter Beobachtung von allen Seiten. Wird sie zu erfolgreich journalistische Konzepte fördern, werden gleichzeitig Vorwürfe eines Staatsjournalismus und der subventionierten Konkurrenz erhoben werden.
Beim Projekt der Aufnahme des Journalismus als gemeinnützig in die Abgabenordnung sind noch mehr ungeklärte Fragen offen: Zunächst: was soll gemeinnützig sein: die Recherche oder das gesamte Produkt? Ein publizistisches Organ oder der Journalist? Und was, wenn die gleiche Recherche auch von einem zweiten Medium bezahlt wird? Wie schützt sich der Autor, wenn der Spender dadurch Einfluss nehmen will?
Journalismus wird sich selbst helfen müssen
Beide Ansätze werden nicht so schnell Ergebnisse für die Sicherung des Journalismus bringen, wie der Niedergang voranschreitet. Der Journalismus wird sich selbst helfen müssen. Mikroökonomisch betrachtet könnte Schumpeters Regel vielleicht auch im Journalismus gelten: Das schöpferische Element ist hier nicht der Sektor der Medien, sondern der Einzelunternehmer: der Freie.
Frustration und Auftragsmangel werden zum Antrieb gerade für freie Produzenten, den flexiblen Habenichtsen der Medienindustrie. Doch aus diesen Tagelöhnern des bisherigen Informationszeitalters werden die kreativen Akteure erwachsen, die dem Mediensystem neues Leben einhauchen, noch während es sich wenig schöpferisch selbst zerstört.
Diese neuen Kreativen können vielerlei Gestalt haben: es sind die gut ausgebildeten Journalisten ohne Festanstellung, junge Neustartet oder alte ausgemusterte, es sind die Wissenschaftler mit Darstellungsdrang, es sind die Alltagsentertainer, die im Internet erfolgreich ihre Bühne finden, es sind die Fachidioten, denen bislang der Zugang zu ihrem Publikum fehlte, es sind die YouTuber, die im Kinderzimmer gelernt haben, ihre Fans zu begeistern.
Wer das System retten will, sollte nach ihnen Ausschau halten und sie unterstützen, ihre Relevanz für das politische System aktiv wahrzunehmen.
Und lasst Euch nicht davon abschrecken, dass manches noch nicht klappt oder peinlich ist. Ihr müsst nur brennen für Euren Weg.
Zustimmung.
Neben dem Freien sehe ich noch den aktiven Leser als Baustein für eine Reform. http://ideas.aeon.co ist da ein guter Anfang.
Wahrscheinlich ist es so, dass die Grenzen zwischen “aktiven Lesern” und klassischen Autoren von aktuellen Texten, also Journalisten, künftig weiter verschwimmen oder sich zumindest differenzieren.
Ich sehe in der Ausdifferenzierung neuer Rollen für Leser, einen Lösungsansatz für die Vertrauenskrise. Wenn der Leser im Entstehungsprozess dabei ist, profitieren beide Parteien davon. Mir schwebt u.a. ein Konzept vor, bei dem Leser über ein kontroverses Thema diskutieren und anschließend gemeinsam eine Zusammenfassung geschrieben wird, die dann veröffentlicht wird.
Die Vertrauenskrise scheint auch nicht alle Bereiche gleichermaßen zu treffen. Ich denke, dass Diskussionssendungen, wie SWR2-Forum oder DLF Kontrovers einen Vorteil haben, weil in Diskussionen die Standpunkte authentisch dargestellt werden. Kommentatoren können Standpunkte nur mit viel Mühe und journalistischer Sorgfalt wiedergeben. Zweifel ist da der default-Modus.
Da stimme ich zu. Auch wenn man sich keine Illusion machen darf, dass Live-Sendungen in einem formatierten Sendeschema in den meisten Fällen nur einen Teil der Wirklichkeit abbilden. Da liegt aber eine Chance in neuen Konzepten im Web, wie bspw. bei Tools wie Hangout-On-Air mit ausgereiften Reaktionstools oder andere Live-Streaming Tools wie auch das zur Zeit sehr hypende #Meerkat.
Ich habe kürzlich an einem hangout bei den Krautreportern teilgenommen. Da ging es jedoch nur um Technik. Ich denke, dass die Hürde sehr hoch ist. Die Veröffentlichung von eigenen Videoaufzeichnungen im Netz ist mir sehr unangenehm. Ich kann mich in solchen Gesprächen weniger gut ausdrücken und der Stress ist ungleich höher. Ein Live-Chat finde ich da niedrigschwelliger.
Bei G+ Hangout on Air gibt es viele mögliche Rollen. Es gibt die Teilnehmer, die mit Bild (oder auf Wunsch auch nur mit Ton) mitdiskutieren. Darüberhinaus können sich Zuschauer (also nicht Teilnehmer) auch per Q&A-Funktion (Frage&Antwort) in einem Chatfenster in die Diskussion einklinken und weiterhin gibt es die Möglichkeit per Daumen hoch/runter einen Kommentar abzugeben. Und als letztes gibt es nach dem Ende der Live-Sendung auch noch die Möglichkeit einen schriftlichen Kommentar zu hinterlassen, der sowohl in G+ als auch bei YouTube sichtbar wird. Bei den Zuhörern ist die technische Schwelle eigentlich sehr niedrig, sobald sie es schaffen, während der Live-Sendung den Player zu finden und zu öffnen. Solange ein Zuhörer einen G+ Account hat, kann er vom Moderator der Sendung zudem jederzeit auch als Teilnehmer in die Sendung geholt werden.
Mir ist dieser Funktionsumfang bekannt. Jedoch begibt man sich bei jeder dieser Möglichkeiten auf ein tieferes Level. Weswegen ich auch darauf verzichtet habe und die Videofunktion — Zähne knirschend — aktiviert habe. Der Live-Chat oder ein Reddit-AMA setzt den Dialog auf Augenhöhe direkt niedrigschwelliger an.