“Es begab sich aber zu der Zeit, dass alle Welt geschätzt würde…”
Fast könnte man den Beginn der Weihnachtsgeschichte bei Lukas für einen Text über den Journalismus der letzten Jahre halten. Was ist meine Arbeit noch wert? Werde ich noch gebraucht? Wird mein Job eingespart?
“Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt…”
Das Internet schluckt den Journalismus – entwertet alles, was gestern noch etwas wert war: Informationen in Hülle und Fülle und scheinbar umsonst.
Ich hab mir vorgenommen, dass ich das nicht mit mir machen lasse, sondern suche aktiv die Chancen in diesem Transitions-Prozeß. Jetzt zum Ende des Jahres 2015 stelle ich wirklich überrascht fest, es trägt reale Früchte. Das Jahr 2015 war mein erstes Jahr der neuen Medien. Und alles begann mit der Bescherung.
“Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.”
Ende 2014 habe ich die drei evangelischen Landeskirchen in NRW dabei begleitet, ihren Schritt in die neue Medienwelt zu finden. Mit ihren alten Themen – einem Evergreen: Weihnachten. Mit Pageflow – entwickelt im Auftrag des WDR, freigegeben zur Nutzung von jedermann – haben wir einen eigenen Server aufgesetzt und die Weihnachtsgeschichte Multimedial aufbereitet.
Man kann dort schöne Bilder anschauen, über den Hintergründiges nachdenken, Bibelgeschichten zuhören und die Lieder a la Karaoke sogar mitsingen. In diesem Jahr haben wir die Multimedia-Story
erweitert: Wie sähe die Geschichte von Flucht und Vertreibung heute aus?
Die Zusammenarbeit eröffnete mir die Chance, neue Erzählformen mit einer hochwertigen Darstellung in Text, Bild und Video auszuprobieren: Im Osterpageflow erklärt Oliver im Rollstuhl die Passion: “Jeder hat sein Kreuz zu tragen”.
Darüber hat sogar das WDR-TV berichtet (mal nicht ich für den WDR, sondern der WDR über meine Arbeit). “Fremdlinge sollst Du nicht bedrängen” war der Pageflow im Herbst über Flucht. Der Pageflow “Gottes Häuser” stellte mir die Aufgabe, einen Architekturpreis in Multimedia so darzustellen, dass es meine Gefühle beim Betreten der Gebäude ausdrückt. Dort kam übrigens erstmals ein Smartphone mit Schwebestativ zum Einsatz.
Ein ganz besonderes Ereignis liegt wenige Tage hinter mir: Mein Smartphone-Seminar in Kenia. Mit 11 Journalisten aus Kakuma, in dem 200.000 Flüchtlinge leben, habe ich geübt, wie man Foto, Radio, Video und Live-TV-Journalismus allein mit dem Handy produziert. Die Ergebnisse sind beeindruckend und sind ein Praxistest für mein Konzept von #oneshot-Videoreportagen. Mehr dazu im Blog #DWKakuma. Was von ihnen zurück kam, war berührend: “This training has become my opener to greater heights I intend to scale.”
Wie kann man es besser ausdrücken, welche großen Chancen in der radikalen Digitalisierung des Journalismus liegen?
Sehr bewegend waren auch die Recherchen im Sommer in Tansania. Dort wollte ich erkunden, wie die neue Form von Entwicklungshilfe Deutschlands und der G7 Staaten wirkt (sog. Allianz gegen de Hunger). Tatsächlich fand ich Menschen, die statt größerer Nahrungssicherheit nackte Überlebensangst haben, weil ihnen das Land zum Anbau genommen wird. Mein Bericht steht gedruckt in “Mut zu Taten” (Misereor), als kurzer Eindruck noch aus Tansania im Blog und er läuft in Kürze als längere Reportage in WDR 5.
Und noch eine Premiere gab es gedruckt auf klassischem Papier: mein erster abgedruckter Bericht im Computermagazin c’t über “Keyless GOne”. Ausgerechnet in diesem Jahr der Digitalisierung meiner Beschäftigung ging ich also in die klassische Langform des gedruckten Journalismus? Ist das nicht ein Widerspruch?
Ich denke nein. Denn es wird kein Ablösen des gedruckten Papier durch Online und Multimedia geben. Es wird ein nebeneinander sein. Vielleicht verschwinden zunehmend die Tageszeitungen in der jetzigen Ausprägung, weil es nicht mehr zeitgemäß ist, die aktuellen Nachrichten erst einen Tag später gedruckt zu lesen. Die fundiert recherchierten Hintergründe jedoch und die tieferen Zusammenhänge könnte durch die Digitalisierung eine ganz neue Konjunktur im Gedruckten erfahren. Vermutlich in anderer Form noch, als heute. Auch im Gedruckten ist Platz für Innovationen.
Und noch eine Neuentdeckung, die mir mein Foto-Smartphone Galaxy K zoom beschert hat und zeigt wozu Smartphones in der Lage sind:
Meine Foto-Sammlung über außergewöhnliche Ziele in “East Anglia” ist mit Hilfe einer automatischen Funktion bei Google Fotos entstanden. Sobald ich die Fotos eines Arbeitstages im Netz sichere, wird mir diese gestalterisch sehr einfache, aber auch attraktive Form des multimedialen Storytellings automatisch angeboten und ich kann einige kurze Texte hinzufügen oder die Bildauswahl verändern. Das ist Storytelling on the go.
Mit dem Smartphone habe ich festgestellt, dass die gute Spiegelreflex, ja selbst die sehr kompakte spiegellose Kamera, bei Reportagen immer häufiger in der Tasche bleibt und ich mit dem Smartphone eine enorme Bandbreite an Motiven einfangen kann. Besonders hochwertige Formate werden natürlich weiter mit den herkömmlichen Tools produziert – bei Fotos wie auch bei Videos. Aber selbst die Tonaufnahme passiert immer häufiger per Smartphone. Ob es Atmos sind, die ich nebenbei auf den Telefon aufnehme, einen Livebericht per ARD MuPro App für den WDR, wie im Oktober aus England oder die neue Interviewapp des Deutschlandradios, die vor allem für Interviewpartner gedacht ist, die man weder persönlich, noch per Studioleitung sprechen kann.
2015 war das Jahr der Digitalisierung, der neuen Medien. Im nächsten Jahr dreht sich die Entwicklung weiter – da bin ich mir ganz sicher. Und da bin ich zuversichtlich. Das Jahr 2016 wird das Jahr des Online-Videos.
“Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird”
Ok, die Bibelzitate haben in Wirklichkeit nichts mit dem Journalismus zu tun. Aber jetzt ist das Jahr zu Ende und…
“Thank god, it’s Christmas.”
toller Bericht 🙂