Ab November funken die Neureifen. Nach einer neuen Vorschrift der EU müssen dann die Reifen von neuen PKW mit einem automatischen Kontrollsystem ausgerüstet sein, das die Reifen überwacht: mit dem Reifendruckkontrollsystem RDKS. Aber: In den Reifen steckt künftig ein Datenschutzproblem für die Autofahrer.
Für die Reifenwerkstätten wird es künftig deutlich mehr Arbeit geben. Bei jedem Reifenwechsel benötigen alle ab November 2014 erstmals zugelassen PKW dann eine Überprüfung, ob die Räder mit einer neuen EU-Vorschrift übereinstimmen. Je nach verbautem System hat der Reifenhandelsverband BRV ausgerechnet, entstehen zusätzliche Werkstattzeiten von bis zu 30 Minuten pro Fahrzeug. Dazu kommen in den meisten Fällen noch Kosten für die Luftdrucksensoren von 40 bis 150 Euro pro Stück – jeweils für 4 Sommer- und 4 Winterreifen. Werkstattbesitzer Oliver Mader hat schon die ersten Erfahrungen gemacht: „Also einen Porsche hatten wir, da musste ein Originalsatz verbaut werden. Das waren 600 Euro für die 4 Ventile.“
Verbraucher irritiert: 2 Systeme
Für den Verbraucher wird es verwirrend: Es ist nicht festgelegt, wie der Reifendruck kontrolliert und erfasst wird. Gleich mehrere technische Systeme existieren parallel, jedes mit seiner eigenen Technik: direkt und indirekt messende Systeme. Zudem ist weder für den Autobesitzer noch für die Werkstatt einfach festzustellen, welche schon vor November zugelassenen Autos Sensoren benötigen, sagt Verbandsgeschäftsführer Hans-Jürgen Drechsler „Das kann man nur am Fahrzeugschein ablesen. Da kann ich das Datum der Typengenehmigung ablesen und das Datum der Erstzulassung. Wenn es ab 1.11.2012 neu typengenehmigt ist, dann sollte man einen Fachmann gucken lassen, ob es unter die EU-Verordnung fällt.“
Die offizielle Rechtfertigung der EU für die verpflichtende Einführung der Reifenkontrolle ist die erhöhte Sicherheit und Schutz vor schweren Unfällen durch defekte Reifen. Aber auch die Verbrauchsminderung und bessere Ökobilanz durch richtig aufgepumpte Räder beim Abrieb der Lauffläche und vor allem beim Spritverbrauch sprächen für die neuen Systeme. Michael Schwämmlein hält das System für sinnvoll. Er arbeitet für die Firma Alligator, einem der 4 großen deutschen Hersteller der RDKS-Sensoren.
„Es nützt das beste Reifenlabel mit Angaben zum Rollwiderstand nichts, wenn sie ein halbes Bar Unterdruck fahren. Sind alle Bestrebungen dahin. Und von den Sicherheitsrisiken: 85 % aller Reifenschäden kündigen sie sich vorher an.“
Direkte und indirekte Messung des Reifendrucks
Beim direkten System werden Sensoren in das Rad eingesetzt: Dies sind kleine Daten-funkende Mini-Meßcomputer, die entweder an das Ventil geschraubt oder innen in den Reifen eingeklebt werden. Zwei Drittel aller Neuwagen sind damit ausgerüstet. Die indirekte Meßmethode wird vor allem von den Marken des VW-Konzerns eingesetzt. Sie ist deutlich günstiger, da sie auf eingebaute Sensoren verzichtet und auf die Computerauswertung der Radumdrehungen setzt. Die direkte Methode mit den funkenden Sensoren liefert nach Ansicht des Verbands die höhere Sicherheit. 2014 sollen bereits 1,1 Mio Neuwagen damit ausgerüstet sein. Zusätzlich einige LKW, obwohl hier keine Vorschrift in Sicht ist. Im kommenden Jahr werden zusätzlich 2,2 Mio Neuwagen aus den Rädern ihre Daten an den Bordcomputer funken.
gefunkte Daten könnten missbraucht werden
In dem Datenpaket, dass regelmäßig während des Betriebs von den Reifen in die Umgebung gefunkt wird, sind auch Kennungen, die das Autor eindeutig identifizieren, sagt Michael Schwämmlein „Der Sensor schickt seinen Namen wenn sie so wollen, also eine Identifikationsnummer und Temperatur und Druckdaten.“ Diese Daten, also auch die Identifikationsnummern der einzelnen Reifen-Sensoren, werden unverschlüsselt an den Bordcomputer gesendet. Mit geringem Aufwand könnten diese Datenverbindungen auch von außerhalb des Autos mitgelesen werden. Dies bedeutet: Die Fahrzeuge könnten somit wiedererkannt, einem Fahrer zugeordnet und automatisiert überwacht werden. Beispielsweise ließe sich so ein Bewegungsprofil des Fahrers erstellen. Die Bochumer Leiterin der
Arbeitsgruppe für Informationssicherheit, Christina Pöpper, hält das für möglich: „Solche digitalen Möglichkeiten erlauben das im großen Rahmen zu machen. Wenn man in der Nähe von der Straße Empfangsgeräte instalieren würde, könnte man im großen Rahmen unsichtbar überprüfen, wer da vorbeifährt. Vollautomatisiert.”
Studie: Daten lassen sich manipulieren
Laut Herstellern sollen die Daten aber nur im Umkreis von 50 Zentimetern gesendet werden. Jedoch sagen Experten wie die Bochumer Junior-Professorin Christina Pöpper: „Funktechnik läßt sich nicht einfach begrenzen.“ Die 50 cm sind wohl eher als Mindestreichweite anzusehen, damit die Reifen in der Werkstatt von kleinen Prüfcomputern auch gefunden werden. Zudem hat schon 2010 eine Studie in den USA gezeigt, dass diese Daten von Hackern manipuliert werden könnten. Experimentell gelang es den Forschern damals, damit sogar die Bordelektronik aus bis zu 40 Metern Entfernung zu stören und teils lahm zu legen. Hacker könnten dem Fahrer einen falschen Druck vorgaukeln und ihn dadurch zum Aussteigen bringen.
In der Branche wird dieses Problem bislang nicht diskutiert, bestätigt Thorsten Lemm, vom Zulieferer HUF „Also diese Gedanken haben wir uns noch nicht gemacht, vielleicht wäre es technisch möglich.“
Der Autohersteller Daimler sagt dazu offiziell in einer Stellungnahme: “Der Reifendrucksensor im Rad misst den Druck und übermittelt ihn über das Fahrzeugbussystem, eine Manipulation von außen ist nicht möglich.” Bei BMW habe ich während der Recherchen ein ganz neues Patent entdeckt, dass eine Verschlüsselung bieten würde. BMW sagt dazu aber auf Nachfrage: „Der Einsatz ist nicht vorgesehen.“ ohne eine weitere Begründung zu geben. Der Einsatz von Verschlüsselung sei “auch bei den anderen deutschen OEMs“ nicht beabsichtigt und weiter: „In Zukunft ist geplant, das Kommunikationsprotokoll über einen VDA Standard zu vereinheitlichen”. Der VDA wiederum verweist auf die Hersteller.
Was sagt der deutsche Datenschutz?
Für die Autohersteller sind Datenschutzbeauftragten der Länder zuständig. Ich habe die Behörden von NRW und Baden-Württemberg als Sitz zahlreicher Firmen befragt. Beide hatten sich mit dem Problem noch nicht beschäftigt, wollen dies aber nach meiner Anfrage jetzt nachholen und das Thema in der länderübergreifenden Arbeitsgruppe “IT in Kraftfahrzeugen” diskutieren.
eine gute Info, die ich vor allen Fachzeitungsveröffentlichungen
beim Ruhrnalist fand:)
adé
JHR aus LH