Freie Journalisten – #DarumFrei

Es sind jetzt 25 Jahre, die ich als Freier arbeite, davon mehr als 21 Jahre für den öffentlich rechtlichen Rundfunk.
Wer so lange dabei ist, bei dem stellt sich die Frage kaum noch, ob er weiter frei arbeiten will. Mir haben Unternehmenschefs gesagt, dass sie so jemanden nicht einstellen würden, weil der sich ja nicht in eine Konzernstruktur einfügen könnte.

Auch wenn das nicht zu verallgemeinern ist und übersieht, dass eine solche frei-geistige Arbeitsweise auch in einem größeren Arbeitsverbund viele Impulse setzen könnte, Personalverantwortliche haben erst einmal Sorge vor solchen unkalkulierbaren und vielleicht nicht steuerbaren Mitarbeitern.

Ich schreibe diesen Blogeintrag im Rahmen der Parade* #darumfrei, weil mir in den letzten Wochen erstaunliche Zitate begegnet sind.


Tatsächlich müssen sich Freie mit vielen Formalien beschäftigen, die Festangestellte nicht haben. Sie haben viele Ängste (etwa vor Einkommensmangel, Rentnerarmut, Klageandrohungen, Steuervergehen), sie arbeiten viel selbst und das ständig, sie müssen Trends erkennen und sich flexibel anpassen, bevor sie vom Trend überrollt werden.

Bei Festangestellten herrscht zunehmend auch das Gefühl vor, freie Autoren sind Anfänger und werden, wenn sie gut sind, später einmal ein Festangestellter – so wie sie selbst. So schreibt es ein Ressortleiter:

Die meisten guten Radio-Journalisten haben als Reporter angefangen (..) Und siehe da: Es ist etwas aus ihnen geworden. Zum Beispiel ein guter Redakteur.

Für viele Kollegen stellt sich daher meist spätestens nach dem 7. verflixten Jahr des Up and Down die Frage, ob sie nicht ins Lager der Festangestellten wechseln. Wer diesen Zeitpunkt verpasst hat, muss damit rechnen, was mir ein Leiter einer Pressestelle sagte, als er einen zusätzlichen Pressesprecher anstellen wollte und hunderte Bewerbungen von teils hoch qualifizierten Kollegen bekam.

Ich stelle doch keinen ein, der meiner Position gefährlich werden könnte. Solche Bewerbungen sortiere ich gleich aus.

Ich dagegen genieße es, mir ständig einen neuen Fokus zu suchen oder besser noch gleichzeitig mehrere. Letzteres wird aber in der Öffentlichkeit als besonders fragwürdig gesehen und oft als mangelnde Professionalität. Nach dem Motto, man kann doch nicht Experte auf mehreren Gebieten sein.
Nur ist es so, dass man heute kaum als extrem-spezialisierter freier Fachjournalist überleben könnte – und mir wäre das auch viel zu langweilig. Daher:

Ich bin freier Journalist, weil ich meine Neugierde auf Neues ausleben kann und meine journalistische Spürnase so tief reinstecke, wie es mir gefällt oder ich mit Aufträgen rechnen kann.

Ich lebe das gerade wieder aus: Nach fast 20 Jahren fahre ich wieder nach Afrika zum Recherchieren und berichten. Leider erfahre ich dabei, dass es in der aktuell-notleidenden Medienszene noch schwerer geworden ist, eine solche Reise zu finanzieren.
Strickte Compliance-Regeln sind sicher richtig, nur müssen sie dann auch durchführbar sein.

Wenn sie auf einer Journalistenreise Leistungen von anderen annehmen, ist es Hauspolitik, dass wir das nicht veröffentlichen. Leider können wir aber nicht an Freie einen Zuschuss für die Reisekosten zahlen. Da würden wir eher unseren Korrespondenten schicken.

Denn wer die Realität von Auslandskorrespondenten kennt, die teils Berichterstattungsgebiete von Regionen haben, die fast so groß sind wie die Fläche Europas, der weiß, dass diese eine umfangreiche Tiefenrecherche nur in Ausnahmefällen leisten können und zudem auch oft keine Fachexpertise haben.
Ich versuche gerade mir einen Teil der Reisekosten über eine besondere Form des Crowdfundings zu finanzieren. Ich biete standardisierte Berichtsprodukte ähnlich wie eine Nachrichtenagentur zu einem Festpreis für das Nutzungsrecht an. Ich weiß noch nicht, ob das erfolgreich wird oder ob ich am Ende bei der (gesundheitlich nicht ungefährlichen) Reise etwa 2.000 € drauf zahle.
Einer meiner Gesprächspartner meinte dazu:

…dass dies ein Skandal ist, wie sie für eine solche Geschichte als Freier betteln gehen müssen.

Update 21.6.15

Inzwischen kam ein Brief des Intendanten meines Hauptauftraggebers. Es ist eine Antwort auf einen offenen (aber noch nicht veröffentlichten) Brief der Autoren der Wissenschaftsredaktionen, den ich mit unterzeichnet habe.  Darin haben die Autoren ihre Sorge um eine mangelhafte Wertschätzung ihrer gewissenhaften Arbeit, das sich verschlechternde Verhältnis von Aufwand und Ertrag und die schwindenden Möglichkeiten zur Berichterstattung im Programm dargestellt. Doch es kamen beschwichtigende Worte des Intendanten. Scheinbar sogar anerkennende Worte für die künftige Bedeutung der Arbeit der freien Mitarbeiter im Sender.

Wir brauchen Sie! Sie sind das Rückgrat unserer seriösen Berichterstattung…

Dazu muß man wissen, dass die Freien nach Einschätzung von Kollegen etwa 90% aller Inhalte der 7 eigenständigen Rundfunkprogramme des WDR und seiner Zulieferungen in die ARD Gemeinschaftssender herstellen. Dabei werden nach dieser Einschätzung nur 10% des Etats für diesen Output von 90% eingesetzt. Ich kann diese Zahlen nicht überprüfen, habe aber bislang keinerlei Widerspruch dazu gehört.

Doch leider geht das Schreiben noch einige Zeilen weiter und schildert in bisher noch nie dagewesener Offenheit die ungeheuerliche Wahrheit:

Vieles deutet darauf hin, dass es in Zukunft für Sie noch nötiger werden wird, sich nicht allein auf den WDR als alleinige Honorarquelle zu verlassen.

Ist das die Ankündigung einer Trennung auf Raten – die in Wirklichkeit schon längst begonenn hat? In einer Partnerschaft würde man das nicht anders interpretieren können.

Für jemanden, der 21,5 Jahre seines Berufslebens so ziemlich alles (und in vielen Jahren sicherlich noch weit mehr: bspw. 48 Stunden Berichterstattung am Stück) für diesen Sender gegeben hat, der von außen und von innen mit ihm identifiziert wurde, der sich selbst bis heute mit ihm identifiziert, der noch 18 Jahre bis zu seiner Rente hat, …

…ist das ein Gefühl in der Magengrube, das mit Worten nicht beschreibbar ist.

 

* Beitrag zur Blogparade der freien Kollegen Bettina Blaß und Timo Stoppacher. Anlass ist  ihre Feststellung,“dass von jungen Nachwuchsjournalisten kaum einer selbstständig arbeiten möchte”.

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