Ja, zugegeben. News-Videos, die nach der Oneshot-Methode gedreht werden, haben nicht immer die optimale Produktionsqualität. Damit nicht genug: In meinen Oneshot-Schulungen für Nachrichtenvideos gebe ich mich sogar mit “ausreichend” zufrieden. Das bedeutet aber keinesfalls Viertklassigkeit, sondern englisch “good enough”. Oneshot-Video-Reportagen sind good enough. Sie lassen sich in 15 Minuten erstellen – vom Drehbeginn bis zum Upload. Garantiert.
Mit ‘Oneshot’ bezeichne ich journalistische Nachrichten-Videos für das Web. Sie bestehen aus nur einem Dreh (Take), werden live vertont und sind extrem schnell und unkompliziert auf jedem Smartphone zu erstellen.
Was vor 3 Jahren eine Idee zur beschleunigten Produktion war, hat sich zum erprobten Konzept für die Transition im Lokaljournalismus entwickelt. Jeder kann diese Produktionsmethode mit dem Smartphone lernen – in wenigen Tagen. Das hat sich in zahlreichen Seminaren in der ganzen Welt bestätigt. Mit ganz unterschiedlichen Gruppen, mit Jugendlichen, mit Hobbyberichterstattern, mit Vollblut-Journalisten. Zum Beispiel im Medienhaus Lensing, das sich mit seinen vier Zeitungen auf Lokaljournalimus konzentriert, wie kaum ein anderes Haus. Die größte Zeitung heißt Ruhr Nachrichten. Wie funktionieren Oneshot-Videos?
ONESHOT – nur ein Schuß für die Geschichte
Oneshot: das bedeutet ein Video in einem Schuß, nur eine Einstellung. Das ist nur ein Dreh: vom Aufnahmebeginn bis zur Stopptaste. Die Produktionszeit ist revolutionär kurz: Die Drehzeit ist nahezu gleich der Beitragslänge!
Aber nicht verwechseln: Es ist nicht nur eine einzige Einstellung: die Kamera ist bewegt. Es ist ein Konzept für den mobilen Journalismus, für mobile Kameras, für Smartphones. Bei dieser Form der ultra-kurzen Reportage bewegt sich die Kamera mit dem Reporter dynamisch durch die Szene. Idealerweise zeigt sie die Totale mit dem Überblick, die Großeinstellung der Handlung sowie der wichtigen Objekte und eingebettet sehr kurze Interviews, die die Emotionen des Handelnden mit dem Geschehen im Hintergrund verknüpfen.
Damit alles miteinander verbunden und mit notwendigen Information ergänzt wird, kommentiert der Reporter – quasi live – während der Aufnahme. Eine Nachbearbeitung entfällt, bis auf einen Schritt: Lediglich den Einstieg und Ausstieg versäubern, also um wenige Sekunden kürzen und dann absenden. Das ist Videoproduktion radikal vereinfacht. Schneller geht es nicht!
100x schneller als klassisches Video?
Wer 1:1 dreht, spart nicht erst im Schnitt, sondern schon beim Dreh. Aber zwei statt 200 Minuten Produktionszeit? Tatsächlich sind in der Praxis mehr als drei Stunden für Dreh und Schnitt für ein zwei Minuten Video nicht ungewöhnlich viel. Im TV ist das Standard. Vor Ort wird zunächst recherchiert, gedreht, interviewt und gesammelt. Danach folgt die Verarbeitung. Egal ob mobil auf dem Smartphone oder im Schnittraum am PC. Als erstes muss das Material gesichtet und sortiert werden. Gegebenenfalls werden noch Archivbilder gesucht und gesichtet. Danach werden die Interviews abgehört und zumindest teilweise transkribiert und aus dem Skript der O-Ton ausgewählt.
Dann erst folgt der Schnitt: dabei werden die Bilder so montiert, dass sie die Geschichte erzählen. Und die ausgewählten Interviewausschnitte werden dazwischen geschnitten. Zuletzt wird ein verbindender Text geschrieben, dann der Beitrag im Rohschnitt von der Redaktion abgenommen oder zuvor geändert und ganz zum Schluss wird der Kommentar aufgesprochen. 3 Stunden sind allein für diesen Prozess eine kurze Zeit. Oft dauert es länger.
Wie sieht Video im Lokaljournalismus aus?
Beispiel: https://players.brightcove.net/1863355775/S1guyGsAYZ_default/index.html?videoId=5735134709001
Es ist günstig – in der Erstellung. Es ist schnell – produziert. Es liefert Hintergrund und Authentizität – mehr als ein Text oder Foto. Es transportiert Emotionen – und erzählt eine Geschichte in Bildern.
Video im lokalen Journalismus muss idealerweise einen Mehrwert bieten, ohne bedeutende Mehrkosten zu verursachen. Dies ist nur möglich, wenn die Produktionsmittel günstig wie ein Smartphone sind, dass zum Tool für Recherche, Produktion und Übermittlung wird. Und wenn es nicht so viel Zeit in der Erstellung braucht, dass dafür andere Berichte nicht erstellt werden können. Was eigentlich unmöglich scheint, wird durch die Oneshot-Reportage denkbar.
Video im lokalen Journalismus wird so möglich. Ohne großen Aufwand kann von einer Recherche vor Ort eine Videoreportage mitgebracht werden. Die Arbeitsbelastung sinkt für einen Oneshot-erfahrenen Redakteur enorm, weil er sich schon kurz nach dem Dreh wieder anderen Aufgaben widmen kann.
Oneshot eignet sich nicht für alles
Umfragen oder investigative Berichte lassen sich so nicht erstellen. Auch müssen Interviewpartner am Drehort sein. Lange Ereigniszeiträume lassen sich nicht immer ausreichend darstellen.
Als ich das Konzept erstmals einem leitenden Kollegen im WDR vorstellte, wandte er ein, dass der Beitrag nicht dem journalistischem Standard entspräche. Nicht alle Positionen seien in dem Video abgebildet. Er meinte damit, dass die vermeintliche Gegenseite nicht im O-Ton abgebildet sei, weil sie nicht vor Ort war.
Doch Oneshot-Webvideo-Reportagen sind in erster Linie Reportagen und in zweiter Linie Webvideo. In einer Reportage liefert der Reporter seine Eindrücke und ordnet sie ein – und zwar auch mögliche Gegenpositionen. Zudem besteht im Netz die Möglichkeit, Zeitabfolgen chronologisch weiter fortzuschreiben. Bei einer täglichen TV-Sendung ist das nicht denkbar.
Ruhr Nachrichten wollen ernst machen
In Dortmund will man bei den Ruhr Nachrichten und Co. nun ernst machen mit Video im Lokaljournalismus. Mehr als 30 Journalisten wurden in 10 Tagen (edit: weitere 20 Anfang 2018, insgesamt sollen es mehr als 100 werden) geschult. Alle erhielten ein hochwertiges Smartphone und weitere Ausrüstung. Die gedrehten Ergebnisse der mit Video zumeist völlig unerfahrenen Kollegen waren teils außergewöhnlich zufriedenstellend, insbesondere für die Teilnehmer selbst. Nach den 2-tägigen Schulung äußerten sich 90% sehr motiviert, ihre Kenntnisse nun bald einzusetzen. Die Infrastruktur wird dafür aufgebaut. Das westfälische Medienhaus wäre in dieser Breite das erste, das Videoreporter in quasi jeder Redaktion hat. Ein Vorreiter im Lokaljournalismus.
Von mir ein großes Dankeschön an alle Redakteure/innen, die dabei waren und sich mutig und zuversichtlich ins kalte Wasser gewagt haben. Gerade in der ersten Rund waren viele skeptisch. Doch schnell haben einige einfach angefangen (hier ein Beispiel). Klasse. Ihr habt an der Geschichte gedreht – in einem Schuss: #Oneshot.
Kommentiertes Beispiel eines Oneshot Videos für die Lokalzeitung
Ein Gedanke zu „oneshot – schnelles Video im Lokaljournalismus“